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Goldene Spiegelung

Versailles ist aufgrund seiner bewegten Geschichte ein wichtiger Kristallisationspunkt für die nationale Identität der Grande Nation. Nun hat Dominique Perrault im Zuge des Projekts Grand Versailles einen Eingriff in die historische Bausubstanz gewagt. Er seziert die Komposition und setzt mit dem Umbau des Pavillon Dufour zum zentralen Haupteingang des Schlosses eine bis dato letzte gestaltende Geste im Schlossensemble.
Während die Entwirrung der Besucherströme durch den Umbau effizient gelöst wird, schafft es Perrault darüber hinaus mit einer, von Zurückhaltung im Aussenbereich und ironisch anmutender Opulenz im Innenraum, geprägten Gestaltung zu überzeugen.  

 

 

Text: Anna Valentiny – 30.6.2016
Modelle & Pläne: Dominique Perrault Architecture


Vom Jagdschloss zum Residenzsitz – ein historischer Abriss
Die Geschichte Versailles liest sich als Chronik des andauernden formalen Wandels und ist geprägt von An- und Umbauten: Auf den Äckern eines weltvergessenen Tals südwestlich von Paris liess Louis XIII 1623 sein Jagdhaus errichten, welches im Laufe der kommenden Jahre von Philibert le Roy zum dreiflügeligen Schloss erweitert wurde. Sieben Jahre nach seiner Regierungsübernahme entschied Louis XIV den U-förmigen Mittelbau, den heutigen Corps de Logis, nach Plänen seines Architekten Le Vau mit einem zusätzlichen Bau ummanteln zu lassen.
Ab dem Jahr 1677 ging der Sonnenkönig dann daran Versailles zum Regierungssitz auszubauen: Zwischen 1678 und 1684 wurde um das Jagdschloss ein gewaltiger Raumgürtel gelegt. Damit erhielt auch die Gartenfassade des Schlosses ihre heutige Gestalt im Stil des frühen Klassizismus. Der Komplex wurde zur Residenzstadt der französischen Könige weiterentwickelt. So wurden die von 1678–1789 errichteten Nord- und Südflügel angelegt, um Wohnraum für Adlige und deren Familien zu schaffen, die im zentralistischen Staatsapparat Frankreichs die Entourage des Königs am Hof bildeten.
Schliesslich setzte die Revolution Ende des 18. Jahrhunderts – von Adaptionen zum Museum abgesehen - der architektonischen Entwicklung des Areals ein Ende. Das Schloss ist seit 1979 Teil des UNESCO Weltkulturerbes.

 

Besucherströme entwirren
Die Avenue de Paris ist mittlere der drei Alleen, die sich vor dem Schloss Areal auffächern und, nach der ersten Kurve und dem Verfall der strikten Geometrie Versailles, in gewundenen Wegen in Richtung der französischen Hauptstadt zeigen. Diese Prachtstrasse markiert den Beginn der Symmetrieachse, die sich schlosswärts über Place d' Armes, durch die Cour d'Honeur und Haupthaus bis hin in die Gärten LeNôtres zieht um ihre Fortsetzung im Grand Canal und am Horizont zu finden.
Wo sich vor Jahrhunderten Pferdekutschen dem Schloss näherten, tun es heute jährlich bis zu acht Millionen Besucher und stellen ihre Wägen auf dem Paradeplatz ab der sich zum stark frequentierter Parkplatz entwickelte. An dieser Stelle boten sich den Touristen bisher sechs mögliche Eingänge, je nachdem welchen Teil des Schlosses man besuchen wollte.
Der Umbau von Dominique Perrault kanalisiert den Besucherstrom nun durch nur mehr zwei Zugänge: Der nördlich gelegenen Pavillon Gabriel wurde für Gruppen und der gegenüberliegende Pavillon Dufour als Zugang für Einzelpersonen hergerichtet. Perrault beruft sich dabei auf die bereits im 18. Jahrhundert vorliegende Planung des Architekten Ange-Jacques Gabriel und somit auf ein historisches Vorbild. Dieser schlug bereits im Zuge seines Modernisierungsplans vor, an den selben Stellen zwei neue Eingänge zu den Grands Appartements zu realisieren.

 

Der Pavillon Dufour als Portal
Von den Parkplätzen der Place d'Armes aus zieht der Besucherstrom durch die Grille d'honeur, betritt das eigentliche Schloss Areal und findet zu seiner Linken den Aile sud des Ministres, wo sich der Kartenverkauf befindet. Im Nord-Westen liegt der Pavillon Dufour in dessen Erdgeschoss, nach anschliessender Sicherheitskontrolle und Ausgabe der Audioguides, die Tour durch den Bau beginnt.
Perrault hat nun den Weg so umorganisiert, dass die Besichtigung an selber Stelle jedoch ein Stockwerk tiefer endet. In den Kellergewölben des westlich an den Pavillon anschliessenden Aile zu Midi erreichen die Besucher nach dem Rundgang den Museumsshop und gelangen über eine Steintreppe ins Freie der Cour des Princes, von wo aus es entweder in die Gärten oder zurück zum Auto geht.
Neben dieser primären Funktion der Entwirrung der Besucherströme bringt Perrault ausserdem ein neues Restaurant im ersten Obergeschoss des Pavillons und ein Auditorium in der darauffolgenden Etage unter.

 

Gestaltung als Absage an «Geschichtsglättung»
Als der Pavillon Dufour von 1818–1820  errichtet wurde war sein formgebender Pate, der Pavillon Gabriel auf der gegenüberliegenden Seite der Cour royale, bereits seit knapp fünfzig Jahren im Bau. Tatsächlich wurde der Pavillon Dufour bis dato nie vollständig fertig gestellt. So entstand eine leichte Asymmetrie der Gesamtanlage.
Während sich die Gesichtszüge der Stadt zugewandten Schlossfassade stetig wandelten, blieb die Süd West Seite des Vieille Aile, Teil der Enveloppé Le Vaus weitgehend unbeachtet. Die Konfrontation zwischen neoklassizistischer Tempelfront und barocker Fassade zeugt an dieser Schnittstelle von der baugeschichtlichen Entwicklung des Schlosses. Hier setzt Perraults Entwurf an:
Der französische Architekt verweigerte sich einem gestalterischen «Glätten der Geschichte» und griff stattdessen die Asymmetrie des Areals auf: Anstelle eines raumfüllenden Körpers an der Südfassade des Pavillons, der das freie Baumvolume zwischen Vieille Aile und Cours des Princes im Sinne der Symmetrie formal vervollständig hätte, wurde eine neue im Boden versenkte Treppe realisiert. Sie bildet das städtebauliche Pendant zum Aile Gabriel.

 

Das Ornament des vergoldeten Industrieprodukts
Das Innere des Pavillon Dufour wurde von Perrault in Zusammenarbeit mit Gaëlle Lauriot-Prévost gestaltet. Leuchter, Tapisserie und Metallarbeiten sind an Variationen und Ableitungen vor Ort gefundener Details, Motive und Ornamente inspiriert und bieten der Handwerklichkeit des barocken Ornaments ein starkes Gegenüber.
Während die Auseinandersetzung mit grundlegenden Werkstoffen der Industrie in Perraults Werk eine zentrale Rolle spielt, wirkt das in Szene gesetzte Einfache des, wenn auch sehr bearbeiteten und komponierten Industrieprodukts im Kontext des französischen Absolutismus wie ein ironisches Augenzwinkern. Das Gold tut ein Übriges, dem Betrachter die Frage nach der Ernsthaftigkeit des Kommentars aufzudrängen.
Der über EU 15 Millionen teure Eingriff geht sensibel mit dem Bestand um. Die Innenraumgestaltung jedoch scheint in ihrer Formensprache einem Kommentar der 1980er-Jahren gleich. Dennoch findet Perrault im Verweben von zurückhaltender Gradlinigkeit im Aussenbereich und opulentem bis kitschigem Ornament im Innenraum eine formal und inhaltlich stimmige Mixtur. So liefert der Umbau des Pavillon Dufour einen präsenten und selbstbewussten Beitrag zum Schlossensemble und entwickelt den Stilpluralismus Versailles konsequent weiter.

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