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Im Dialog mit Architektur

Andreas Bründler führt am 16. Februar durch die Ausstellung von Thomas Hauri im Kunsthaus Baselland.

 

Text und Foto: Kunsthaus Baselland – 15.2.2016

 

Architektur verbindet man eher selten mit dem Begriff des Ephemeren. Beton, Glas, Stahl – das sind gerade die Materialien, die für Festigkeit, Dauer und Unumstösslichkeit stehen. Thomas Hauri, der seit vielen Jahren an seinem Werk arbeitet und es kontinuierlich fortführt, vermag es, mit seinen Malereien auf meist grossformatigem Aquarellpapier der umgebenden Architektur nicht nur ein Pendant entgegenzusetzen; vielmehr ermöglichen seine Arbeiten, die Elemente der Architektur aufzunehmen – so unterschiedlich sie in Motivwahl, Format sowie expressiv oder streng aufgetragenen, dunklen oder auch zart farbigen Tonwerten sein mögen – und die reale, uns beständig umgebende oder auch andernorts bestehende Architektur gleichsam zu befragen.

 

Irritierende Ausblicke
Es hat viel mit dem Format zu tun, dass man sich Thomas Hauris meterhohen und -breiten Aquarellarbeiten körperlich kaum entziehen kann. Und auch das, was man sieht, zeigt sich mal eindeutig, mal rätselhaft; einmal erinnert das Gesehene an Lichtschlitze, gebrochene, perspektivisch gesehene Raumfluchten, Fenster oder Durchgänge, um sich ein anderes Mal dieser Lesbarkeit grundlegend zu entziehen. Motive und zuvor aufgetragene Schichten werden übermalt, fast bis zum vollständigen Verschwinden vom Künstler mit Bürsten ausgewaschen, malerisch-expressiv in schnellen Gesten und Prozessen und mit unterschiedlichen Gegenständen auf die bestehende Malfläche eingewirkt. Und doch ist es eben nicht nur das Dargestellte, das, was man meint zu sehen, was einen in die Bildtiefe optisch eintreten lässt. Thomas Hauris Arbeiten – und das wird einmal mehr in der aktuellen ersten grossen Einzelausstellung im Kunsthaus Baselland deutlich – stehen der Architektur gleichwertig gegenüber und erhalten, auch in einer reduzierten Setzung, eine starke Präsenz. Mit seinen Ecken, Winkeln, seinen Eindeutigkeiten und Merkwürdigkeiten, seinen skulpturalen Raumteilen, Treppenanlagen, Fensterabfolgen und Durchgängen wird auch das Kunsthaus Baselland neu erfahrbar und lesbar. Arbeiten und Architektur verzahnen sich auf eine faszinierende, poetische und zugleich irritierende Art und Weise. Irritierend deswegen, weil ein normaler Gang durch die Ausstellung kaum mehr möglich scheint. Es ist ein spezieller Rhythmus, ein besonderes Sehangebot, ein Übergehen von gebauten und gemalten architektonischen Elementen wie Pfeilern, Wänden, Fenstern und Gläsern, welches den Betrachter begleitet.

Und es gibt Räume, bei denen sich der Ton, die Akustik ändert. Für das Kunsthaus Baselland hat Hauri in einem Durchgang zwischen den Kabinetträumen eine grosse, mit einer bläulichen Folie versehene Glasscheibe setzen lassen. Sie ändert nicht allein die Laufrichtung des Besuchers, der – um alle Räume durchschreiten zu können – seinen Weg ändern, umkehren und die weiteren Räume von der gegenüberliegenden Seite aus betreten muss. Die Glasscheibe ändert die Akustik und auch die Grundstimmung in den Räumlichkeiten des Kunsthauses. Fast erscheint es, als stünde man selbst vor beziehungsweise in einer meterhohen Vitrine, ein wenig abgeschlossen von der Aussenwelt, die wir zwar sehen, aber über die sich nunmehr ein bläulicher Filter legt. Man mag sich erinnert fühlen an Ausblicke aus gegenwärtigen Gebäuden, die im Kern von Beton und Stahl geprägt sind, mit einer Aussenhülle aus Glas. Wie eine zweite Haut liegt das Neue vor dem Alten und verleiht dem Ganzen einen neuen, gläsernen Anstrich.

Nicht von ungefähr präsentiert Hauri in jenem durch das Glas an einer Seite fast hermetisch abgeschlossenen Raum zwei Arbeiten aus der Serie Prora. Auf den grossen, weissen, bis an die Decke des Kunsthauses ragenden Blättern zeigt sich – darauf verweist der Titel – die bekannte, einige Kilometer lange Blockbebauung auf der Insel Rügen. Zu nationalsozialistischen Zeiten dort errichtet, wird der gewaltige Querriegel, der nie zu Ende gebaut wurde und lange leer stand, aktuell in Luxuswohnungen umgewandelt. Ob sich das zeitgeschichtlich wichtige und zugleich hoch umstrittene Monument durch die neu geplante (Glas-)Fassade weiterhin kritisch lesen lässt, ist zu bezweifeln.

 

Lob des Schattens
Hauris malerischer Verweis auf diese Architektur ist jedoch keiner mit dem Fingerzeig – allein der Titel deutet auf die direkte Lesbarkeit der Architektur. Vielmehr ist gerade die Art, wie er das Thema aufs Papier bannt, entscheidend. Statt die Härte der gesamthaften Architektur mit dunklen Tonwerten wiederzugeben, sind es die Fenster und Verschattungen, die Hauri fast verschwindend auf die Papiere setzt. Viel Wasser wurde in den Tonwert geführt, wirft sanfte Wellen auf dem Blatt und lässt die in Beton gegossene Architektur plötzlich zu etwas werden, das beinahe seine Sichtbarkeit verliert und sich jeder Eindeutigkeit, aber auch Greifbarkeit zu entziehen scheint. Es wäre falsch, Thomas Hauris Arbeiten ausschliesslich als eine malerische Kritik oder auch Faszination von bestehender Architektur zu begreifen. Vielmehr sind reale Bauten oder Architekturelemente Impulsgeber für seine Aquarellmalerei, die sich prozesshaft, frei und auch lustvoll den gegebenen Formen bedient, sie zeigt, übermalt, auswäscht, in Flächen wandelt – und den (körperlichen) Akt des Malens selbst miteinschliesst. So verlässt Hauri denn auch nicht das menschliche Mass bei seinen Arbeiten. Und: Das Resultat der jeweiligen Arbeit entspricht selten dem Ausgangspunkt. Alles ist Prozess.

 

Überschreiten und Verschwinden
Das zeigen gerade auch die jüngsten Arbeiten, die Thomas Hauri in der Ausstellung präsentiert. Expressiv gemalte, abstrakte oder mitunter frei geführte Formen und Flächen auf Aquarellpapieren im Hoch- oder Querformat, die sich dynamisch und bisweilen landschaftsgleich vor der Ausstellungswand aufspannen – und nicht zuletzt den Blick in den Aussenraum, die urbane Landschaft, überleiten. Statt Anlehnungen an Architektur und deren Elemente setzt Hauri hierbei eine Malerei um, die von einem noch freieren Umgang und auch einer grossen Spontaneität im Umgang mit den von ihm erarbeiteten Mitteln zeugt. Eines aber bleibt mit Blick auf die vielen Arbeiten von Hauri, die in den letzten Jahren entstanden sind und deren Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Besonderheit gerade in der grossen Auslageordnung einer Ausstellung gut sichtbar werden: Das Überschreiben, Überblenden, das Sichtbarmachen und zugleich Verschwinden von Motiven, das Aufzeigen von festen, uns umgebenden Formen, die ins Flüchtige, Nicht-Greifbare rutschen können, zeigt sich als sein eigentliches Thema, für das er sich im Laufe der Jahre seine idealen Mittel und Instrumente angeeignet hat. Das vermitteln auch die zwei kleinen Gemälde, die Hauri 2001 realisiert hat und die in den Kabinetträumen des Kunsthaus Baselland präsentiert werden. In den starkfarbigen Malereien sind unterschiedliche Gegenstände in Vitrinen zu sehen, daraus hervorstechend Totenköpfe – ein typisches Vanitasmotiv. Alles ist vergänglich und ephemer, sichtbar, aber nicht immer greifbar. Und doch: Es gesehen, gemalt und seine Essenz herausgelöst zu haben, gibt jedem Flüchtigen seine Form, letztlich auch seine Dauer und uns ein Verständnis davon, was uns in einer gebauten Welt beständig umgibt.

 

Die Ausstellung Thomas Hauri ist im Kunsthaus Baselland vom 20. Januar bis 6. März 2016 zu sehen.
Am 16. Februar um 18 Uhr führen Andreas Bründler (Buchner Bründler Architekten, Basel) und Ines Goldbach (Direktorin Kunsthaus Baselland) durch die Schau.

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