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«Switzerland first»

Donald Trumps Forderungen nach mehr Protektionismus für den US-Markt finden viele weltfremd und altmodisch. Und die Forderung, Arbeitsplätze im industriellen Sektor zurück nach Nordamerika zu holen, bewerten sie gegenüber den Schwellenländern als unsozial. Doch wenn die Schweizerischen Bundesbahnen für ein neues Wohn- und Geschäftshaus in der Zürcher Europaallee Fassadenelemente in China herstellen lassen, werden in der Schweiz ähnliche Wünsche nach einer Bevorzugung der heimischen Wirtschaft laut. Ein Kommentar zu einer unehrlichen Debatte.

 

Kommentar: Jørg Himmelreich – 13.8.2017
Bild: Boltshauser Architekten, Baufeld F, Europaallee Zürich (Visualisierung: nightnurse images)

 

Verhöhnung des US-Protektionismus
US-Präsident Donald Trump skandiert «America first». Auf wirtschaftlicher Eben bedeutet dies: Er möchte US-Firmen Standortvorteile verschaffen, allen voran durch neue oder höhere Importzölle. Zudem soll die Zahl der Arbeitsstellen im industriellen Sektor gesteigert werden, unter anderen indem US-Firmen gezwungen werden sollen, mehr im Inland zu produzieren. Die Architektinnen in meiner Facebook-Bubble (sie sind circa zu 80 Prozent Schweizerinnen und Schweizer) finden das lächerlich, weltfremd und altmodisch. Stattdessen wird meist ein liberaler (wenn zugleich auch möglichst ökologischer und fairer) Weltmarkt gefordert. Die industrielle Produktion aus den Schwellenländern in eine westliche Industrienation zurückzuholen zu wollen, finden sie «unfair». «Die Menschen in diesen Ländern sind auf den Verdienst aus dem 2. Sektor angewiesen» ist zu lesen. Die USA – so die daraus sprechende Logik – solle als reiches Land auf Arbeitsplätze in der Produktion verzichten und sich stattdessen auf Forschung und Spitzentechnologie beschränken. So könne in anderen Regionen der Welt die «Modernisierung» fortschreiten, wodurch eine Steigerung der Lebensqualität möglich sei, auch wenn die Arbeitsbedingungen in den Billiglohnländern teils prekär und der Umweltschutz mässig sind.

 

Chinesische Fassaden für die Europaallee
Was mit Blick auf die US-Politik gegeisselt wird, scheint denselben Kritikern im Schweizer Diskurs eine Tugend zu sein: Vor wenigen Tagen meldete der Tagesanszeiger, dass bei einem von den SBB entwickelten neuen Wohn- und Geschäftshaus an der Europaallee eine in China fabrizierte Fassade mit Muschelkalk aus Deutschland verbaut würde. Der Bericht bezieht sich auf das Baufeld F, welches von Boltshauser Architekten entworfen wurde. Warum dies überhaupt in einer Tageszeitung erwähnen? Im Rahmen des liberalen globalen Handels – so der Autor Beat Metzler – habe man sich daran gewöhnt, dass Konsumgüter wie Elektronik oder Textilien um die halbe Welt geschifft werden. Geht es um Bauteile, dann hört der Spass offensichtlich auf. 
Zitiert werden diverse Akteure der Baubranche. Sie geben sich überrascht oder gar zornig ob dem Import der Fassadenelemente. Metzler stilisiert durch die Auswahl der Voten den Fall gar zum Symptom einer drohenden Krise der Schweizer Bauteilindustrie herauf. Die Nachricht hat ein grosses Echo in anderen Medien gefunden. Auch die Architekten-Facebook-Bubble schäumte: «Es ist bedenklich, dass ein staatliches Unternehmen Aufträge in ein Land vergibt, das die Menschenrechte nicht respektiert und die Menschen Hungerlöhne und miserable Arbeitsbedingungen ohne Unfall- und Krankenversicherung haben» war zu lesen. Auch Fassadenbauer Roman Aepli aus St. Gallen kommt im Tagesanzeiger mit ähnlichen Aussagen zu Wort: China zahle tiefere Löhne, habe laschere Auflagen und bilde keine Lehrlinge aus. Auch beim Verband der Schweizer Fassaden- und Fensterbauer (SZFF) kam die Nachricht über die chinesischen Fassadenelemente schlecht an, weiss der Tagesanzeiger. «Das schadet der Schweizer Wirtschaft – und damit dem Bund, der von unseren Steuern lebt», wird SZFF-Direktor Fabio Rea zitiert. Die SBB rechtfertigte sich: Von den jährlich gekauften Güter und Dienstleistungen in Höhe von CHF 4,8 Milliarden gingen 98 Prozent der Aufträge an Schweizer Firmen oder Unternehmen mit hiesigen Niederlassungen. Mich macht daher nicht stutzig, dass die SBB-Immobiliengesellschaft für einen Neubau dem günstigsten Anbieter den Zuschlag erteilt und Fassadenelemente importiert. Mich irritiert, warum die SBB insgesamt nur zwei Prozent ihrer Güter und Dienstleistungen im Ausland beziehen. Beim hohen Kurs des Frankens erscheint diese Zahl verschwindend klein. Wegen diesem absurd kleinen Prozentsatz wird gefordert, regulierend einzugreifen?

 

Offener vs. hinterhältiger Wirtschaftsprotektionismus
Was im Rahmen der «Fassadenaffäre» öffentlich und halbprivat vor allem unter dem Vorwand der Sorge um Arbeiterrechte gefordert wird, ist der Ruf nach einem massiven Eingriff in den internationalen Handel. Doch damit würde gegen diverse internationale Handelsabkommen der Schweiz verstossen werden. Dennoch skizziert der Tessiner CVP-Nationalrat Fabio Regazzi im Tagesanzeiger bereits einen Plan, wie das trotzdem gehen soll: «Die Schweizer sind zu nett. Andere Länder gestalteten die Kriterien ihrer Ausschreibungen so, dass fast nur einheimische Firmen sie erfüllen könnten. Dies sei möglich, ohne die Regeln der Welthandelsorganisation zu verletzen. […] Aber beim Bundesrat und den SBB fehlt der Wille zu solchen Lösungen.» Und Metzler legt nach: «Submissionsexperten unterstützen diesen Ansatz. Ein ‹raffinierter Protektionismus› bestehe darin, dass man hohe Standards in Sachen Umweltschutz und Sozialleistungen verlange. Schweizer Firmen erfüllten diese wegen der hiesigen Gesetze. Viele ausländische Anbieter – vor allem solche aus nicht klassischen Industrienationen – scheiterten schon an bescheidenen Vorgaben.»

 

Globalliberal reden, wirtschaftsprotektionistisch tricksen
Erst 2014 hat die Schweiz mit China ein neues Freihandelsabkommen geschlossen. Damit hat sie gegenüber den USA und der EU entscheidende Vorteile im Handel mit der asiatischen Supermacht erwirken können und exportiert seit dem mehr Edelsteine, Edelmetalle, Bijouterie, Pharmaprodukte und Maschinen denn jeh nach China. Wie kann man nur so naiv wie die Wortführer der Fassadendebatte sein und glauben, Aussenhandel sei eine Einbahnstrasse? 
Donald Trump ist peinlich und unsympathisch? Wenigstens sagt er auf wirtschaftspolitischer Ebene klar, was er vorhat. Er setzt Protektionismus vor freien Welthandel. Das kann man kritisieren. Aber was Regazzi, Metzler und die Facebook-Bubble fordern, ist letztendlich noch perfider: Sie treten für Manipulationen ein, die als Arbeits- und Umweltschutzbemühungen getarnt sind. Das schadet den hehren Ansichten in diesen beiden Bereichen und dem Ansehen der Schweiz als internationalem Handeslpartner insgesamt. Wollen sich die Schweizer Fassadenindustrie und die Bauteillieferanten allgemein fit für den Wettbewerb machen, dann müssen sie Wege finden, auf einem offen Weltmarkt zu bestehen, sei dies durch realistische Preisniveaus oder durch innovative Produkte. Und die kann man dann vielleicht – wiederum dank Freihandelsabkommen – eventuell gar im grossen Stil nach China exportieren.

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