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Reise ins Licht

Mit einer feinen Nadel stach James Turrell als Kind Löcher in die Rollos seines Zimmers und bewunderte, wie das Sonnenlicht präzise, sternengleiche Lichtpunkte auf Wände, Boden und Decke zeichnete. Im Verlauf seines Lebens hat der Künstler diese Versuchsanordnungen perfektioniert: Die umfassende Retrospektive The Substance of Light in Baden-Baden führt nun durch das Archipel seiner vielfältigen Lichträume. Die kindliche und schwärmerisch-liebevolle Faszination für Licht ist in den Arbeiten des Künstlers noch immer zu spüren. 


Rezension: Florian Stocker – 5.10.2018
Bilder: Florian Holzherr / Florian Stocker

 

Schweben
Aus dem sonnenverbrannten Kurpark in Baden-Baden tauche ich mit weiteren weisshaarigen Kunstfreunden in die erste turrellsche Erkenntnishöhle ein. Man eckt im schwarzer Gang an und findet doch in das Helle des ersten Lichtraumes, genannt Ganzfeld Apani. Eine ernste Wächterin fängt die erregten Bildungsreisenden routiniert ab und ordnet alle in ein etwas überhöht anmutendes Ritual ein: Bitte nach links treten, Warnhinweise studieren, Stoffüberzieher über die Schuhe, auf die Bank setzen und warten. Alle fügen sich. Dann werden wir eingelassen: Der Raum fasst lediglich 15 Personen. Über dem stufenpyramidalen Aufstieg sieht man eine monochrome Fläche, die scheinbar wie ein Bild an der Wand hängt. 
Ihr diffuses Glühen lässt mich wie ein Wanderer über dem Nebelmeer fühlen. Wir steigen die Treppe empor. Wie durch den Spiegel in Alice’ Wunderland betrete ich den Ganzfeldraum – White Out – das Holodeck von Turrell. Die übliche Raumwahrnehmung gerät ins Wanken, ich glaube zu schweben. Alle schauen gebannt nach vorne, obwohl der Blick zurück durchaus lohnt: Über dem Eingang befindet sich ein Lichttor, das magisch farbiges Licht emittiert. Der Raum beugt sich in blauen und grünen Strömen. Es folgt eine minutenlange zeitdehnende blätterdachmaigrüne Phase. Man wähnt sich in redundanter schwebender Sicherheit. Dann folgt eine stroboskopschnelle Lichtsequenz, die mir den Erkenntnisboden unter den Füssen wegzieht – zwischen LSD Tunnel, 2001. A Space Odyssey und Star Gate in Echtzeit. Der Horizont eines legal highs im Kurpark öffnet sich. Der einströmende Farbraum zeigt mir berauschend meine Beobachtungsgrenzen. Wir müssen den Raum wieder verlassen: Die nächsten harren schon demütig der Zeremonie. Die Sequenz ist ein vierzigminütigen Loop mit ständig wechselnden Farbabläufen.

 

Gleichnisse
Weitere nachtschwarze und hell erleuchtete Erkenntnishöhlen warten. Der Verstand eilt voraus, mein Sehvermögen kommt gemächlich hinterher. Im Trubel vergisst man schnell, sich Zeit zu nehmen. Meine Mitreisenden versuchen die subtile und raffinierte technische Ausführung zu ergründen. Doch durch das clevere Ausspähen des Aufbaus wird kein Erkenntnisgewinn erreicht. Wie Platon der uns in seinem Höhlengleichnis vom Dunkeln in das Licht, und vom Licht in das Dunkel reisen lässt, führt uns Turrell zu unserer Erkenntnisgrenze. Die konstruierte Welt der Dinge löst sich auf, das immaterielle Licht hingegen wird glücklich bis schmerzhaft körperlich. Auf einer Bank sitzend beobachten die Besucher gebannt das Farb- und Schattenspiel, jeder seine eigene Lichtwissenschaft betreibend. Im Dual Shallow Space spielen zwei gegenüber liegende changierende farbige Lichtfelder mit der Farbwahrnehmung und den hinter den Eingangsöffnungen natürlich belichteten Räumen: Alles wird relativ. Weiss gibt es nicht mehr. Die einen eilen aus Sorge vor einem Migräneanfall weiter. Anderen fühlen sich körperlich stimuliert. Ich erfahre, dass beim The Wolfsburg Project Infrarotkameras installiert wurden, um Besucher von Sex in der Ausstellung abzuhalten. 


Kunstlicht – Himmelslicht
Für Turrell sind elektrisch erzeugtes und natürliches Licht gleichwertig. Bei seinem Lebensprojekt Roden Crater steht jedoch ausschliesslich Sonnen- und Mondlicht im Fokus. Der Künstler hat den erloschen Krater in Flagstaff 1979 erworben und ihn seitdem kontinuierlich mit einem System aus Tunneln und Kammern durchzogen. Der erste Beobachtungshorizont ist der Rand des Kraters selber. Er lässt das technische Gestell einer musealen Lichtinszenierung hinter sich und führt zurück zu der Magie der Nadelstiche in der Jalousie in Turells Kinderzimmer. Der Zugang zu Wahrheit und Erkenntnis wird mit dem verdichteten und ungefilterten Licht gesucht. «[In Roden Crater] there's a space where you can see your shadow from the light of venus» sagt Turrell. Das in Baden-Baden gezeigte Modell des Kraters aus gefärbtem Gips aus dem Jahr 1987 ist rauh – die massstäbliche Abstraktion eines ganzen Berges. Die Beobachtungsstationen werden seitdem nach und nach verwirklicht. Vier dieser Kammern werden in der Schau in einem grösseren Massstab gezeigt. Sie haben eine postmodern anmutende Formensprache und erinnern zugleich an die versteinerten Pilotensessel in dem Film Alien. Diese neueren Modelle sind aus weissem Gips und Bronzegussteilen mit angeschliffenen glänzenden Schnittstellen. Besucher des Kraters berichten von perfekten, grossen Räumen und einer faszinierenden archaisch anmutenden Himmelsbeobachtung in der Kratermulde, welche die «Himmelskugel» näher rückt – ein Art modernes Stonehenge.

 

Die blaue Stunde
Noch niemand ausser zahlungskräftigen Käufern von Turrells Kunstwerken hat den Krater besucht. Angeblich fliesst fast jeder Dollar, den der Künstler mit seinen Werken einnimmt in das Krater-Projekt. Wann es für die Öffentlichkeit zugänglich wird, ist unklar. Man befinde sich aber auf der Zielgeraden, sagt der Künstler. Auch wenn ich den Roden Crater nicht besuchen kann: Der turrellsche Himmel hat meine Beobachtung geschärft – für die blaue Stunde am Abend und das rote Licht des Mars in meinem Zimmer in der Nacht. Der Besuch der Ausstellung in Baden-Baden hat sich gelohnt. Die Melancholie, Sehnsucht und Erhabenheit des Roden Craters reist nun ständig mit mir mit.

 

Die Ausstellung The Essence of Light. James Turrell kann bis zum 28. Oktober 2018 im Frieder Burda Museum in Baden-Baden besichtigt werden.

 

> In archithese 4.2018 Landart / Erdarchitektur wird der Roden Crater von James Turrell eingehend vorgestellt.

> Die Galerie Häusler Contemporary in Zürich zeigte Anfang 2018 ebenfalls eine umfangreiche Schau über James Turrell.

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