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Light on!

Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden lockt bis zum 28. Oktober 2018 mit einem ganz grossen Namen der Gegenwartskunst: Dem 75-jährigen James Turrell widmet es eine Retrospektive mit Werken aus den letzten fünf Dekaden. Noch nie wurde in Europa das Schaffen des US-Amerikaners so umfassend gezeigt wie mit der Ausstellung The Substance of Light.

 

Text: Cyrill Schmidiger – 13.6.2018

 

Zwischen Himmel und Erde
Schon zu Beginn seiner künstlerischen Karriere hat sich Turrell ganz dem Licht verschrieben. In eine Quäkerfamilie hineingeboren und ohne Strom aufgewachsen, übte es früh – vielleicht gerade durch dieses Milieu bedingt – eine faszinierende Anziehungskraft auf ihn aus. Dem Thema blieb der gebürtige Kalifornier treu, und das auch einigermassen vielseitig: Einerseits experimentiert er in Form von ausgeklügelten elektrischen Installationen, anderseits mit Hilfe von architektonischen Gebilden wie den Skyspaces oder dem Roden Crater. Das Licht, der Himmel und die Sterne werden dort als atmosphärisches Phänomen inszeniert – Baukunst und Natur sollen gemeinsam ein sinnliches Erlebnis stimulieren. Diese Werke machen den Meister des Lichts gleichzeitig zu einem Virtuosen der Land Art. So sind in der Schau The Substance of Light neben Lichträumen auch viele Fotografien, Zeichnungen und Modelle zu sehen, die einen umfassenden Blick auf das Schaffen des graubärtigen Hobbypiloten ermöglichen.

 

Changierendes Farbenmeer
Wie nehmen wir Licht wahr? Handelt es sich um etwas Immaterielles oder nicht? Kann es in eine Form gebracht werden? Solchen Fragen können sich die Besucher sowohl geistig als auch körperlich nähern. In Baden-Baden haben sie dazu mehrere Gelegenheiten: Die Installation Apani – Turrell realisierte sie anlässlich der Kunstbiennale Venedig 2011 – ist ein sogenanntes Ganzfeld: Der Besucher taucht in einen raumfüllenden diffusen Lichtnebel ein, wobei die Farben in sanften Übergängen immer wieder wechseln. Neben einer schleierhaften Dichte rufen diese Räume zugleich eine unendliche Tiefe hervor. Die Lichtquelle lässt sich nicht erahnen. Turrell entwickelte diesen Werktypus nach frühen Studien in Wahrnehmungspsychologie und aus ersten Lichtinstallationen in seinem kalifornischen Atelier. Das atmosphärische Kunsterlebnis wird von der leiblichen Erfahrung geprägt, sinnliche Momente rücken in den Vordergrund. Plötzlich scheint alles leicht und schwebend. Turrell, der Flieger, tritt auch in seiner Kunst hervor. Der Himmel wird zum Greifen nah.

 

Transzendente Architekturerfahrung
Die Ausstellung im Museum Frieder Burda zeigt auch die Entwürfe First Light aus den späten 1980er-Jahren. Es sind geometrische, weisse Lichtschlitze in Aquatinta-Schwärze und erinnern an seine Skyspaces. Diese baut der in Arizona lebende Künstler inzwischen überall auf der Welt, sei es in Argentinien, Norwegen oder Israel, sei es in Italien, China oder Australien. Die geometrisch schlichten Räume öffnen sich nach oben hin in der Grundrissform ihres Baukörpers und geben den Blick frei auf das wechselnde Farbenspiel des Himmels. Weil bei den Deckenöffnungen weder Laibung noch Materialstärke erkennbar sind, entsteht ein zweidimensionaler Effekt – der Kosmos wird zum Bild und wirkt wie eine Fläche. Der Übergang von der Architektur zum Freiraum gestaltet sich messerscharf, so dass das ausgeschnittene Stück Himmel auf der Höhe der Decke zu liegen scheint. Durch Kunstlicht im Skyspace wird der Eindruck des Gemäldes noch verstärkt. Was entsteht, ist eine einzigartige Illusion, die Raum, Materie und Natur ineinander aufgehen lässt.

 

Spirituelle Wirkung, existenzielles Gefühl
Nicht nur Skyspaces werden in der Ausstellung The Substance of Light besprochen, sondern auch Turrells monumentalstes Projekt, der Roden Crater. Hier verwandelt der Künstler seit Mitte der 1970er-Jahre einen erloschenen Vulkankrater in der Wüste Arizonas in ein riesiges Himmelsobservatorium. Er soll einst rund 20 Räume erhalten, die den Himmel, das Licht, die Sonne und die Sterne in einzigartiger Weise auf die Erde zurückbringen. Dazu werden nun Stollen gegraben, Plattformen errichtet und der Kraterrand geebnet. Das Vorhaben ist gigantisch, ebenso sind es die Dimensionen. Turrell bezieht sich mit diesem Land Art-Werk denn auch auf historische Stätten wie Machu Picchu oder auf die Tempel von Yucatan und die Pyramiden in Ägypten. Wie diese Bauten soll der Roden Crater Licht, Raum und Zeit als visuelle und emotionale Erfahrung erlebbar machen.

 

Variationen
Der amerikanische Künstler hat auch eine Arbeit speziell für das Museum Frieder Burda entwickelt: Die begehbare Installation Curved Elliptical Glass wird dauerhaft in Baden-Baden zu sehen sein. Ein in die Wand eingelassenes Oval wechselt sanft die Farben, wobei ebenso der Raum in ein weiches Licht getaucht wird. Ähnlich wie bei einem Ganzfeld entsteht hier ein atmosphärisches Environment, doch ist es weniger absolut, weil Turrell das Spiel mit der räumlichen Illusion nicht auf die Spitze treibt. Dieses Werk steht viel näher bei seinen geometrischen Hologrammen – etwa dem in die Ecke projizierten grünen Dreieck, das zu schweben scheint, oder dem an die Wand gebeamten roten Trapez. Ein stimmungsvolles Erlebnis bietet auch eine Arbeit aus der Reihe Wedgeworks. Hier experimentierte der Kalifornier mit Lichtformen, die sich überlappen und so illusionistische Räume kreieren.

 

Anknüpfen, weiterentwickeln und neu ansetzen
Gleichzeitig ergeben sich Assoziationen zum Colour Field Painting eines Mark Rothko oder Barnett Newman. Ersterer schuf riesige monochrome Farbflächen, die diffus verschwimmen und – durch weiche, unscharfe Ränder der Farbfelder hin zum Grund einerseits und unterschiedlich hellen Stufen anderseits – sogar eine dreidimensionale Wirkung entfalten. Dennoch betont gerade der matte, stoffliche Duktus die bildliche Ebene. Auch Newman malte oft auf grossen Leinwänden, so dass sich der Betrachter von der Farbe ummantelt oder mitunter räumlich desorientiert fühlt. Die nahezu einfarbigen Bilder lassen sich nämlich nicht auf einen Blick erfassen, ebenso fehlen konkrete Formen und eine gliedernde Komposition. Ähnlich also wie bei Turrell, der auf Symbole verzichtet und stattdessen auf die Wirkung von Licht setzt. In der zeitgenössischen Kunstszene hebt sich der Flugpilot damit von allen ab.

 

Die Ausstellung The Substance of Light ist noch bis zum 28. Oktober 2018 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen.

 

> In archithese 4.2018, Land Art | Erdarchitektur werden wir den Roden Crater genauer vorstellen.

> Die Galerie Häusler Contemporary in Zürich zeigte Anfang 2018 ebenfalls Kunst von James Turrell.

> In Zug bietet eine begehbare Stahlskulptur des Künstlers Roman Signer freie Sicht in die Unterwasserwelt des Zugersees.