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Geschlechterparität? Es bleibt viel zu tun.

Die Parity Talks am Departement Architektur der ETH vor genau einem Jahr hatten Wirkung. Über Chancen und Probleme in der Architektur wurden danach vielerorts diskutiert und geschrieben. (Zusammen mit archithese 2.2016 Bildungslandschaften erschien das Sonderheft Architektur, die [fem.], Baukultur ist auch weiblich!Dort allerdings, wo die Debatte hätten am meisten bewegen können und sollen – bei der Neubesetzung von Professuren am Departement Architektur der ETH Zürich – hat sich wenig getan. Nun wurde mit einer zweiten Runde der Gespräche den Forderungen Nachdruck verliehen. Als nächstes soll der Departementsleitung ein neun Punkte umfassender Aktionsplan übergeben werden. 

 

Text: Jørg Himmelreich - 8.3.2107
Poster: Ursina Sissina & Martina Walthert

 

Getrübte Freude
Die Partity Gruppe der ETH gibt es seit 2015. Vor genau einem Jahr hat sie mit den Parity Talks  (Frida Grahn berichtete) auf einen Missstand aufmerksam gemacht: Obwohl 56 Prozent der Architekturstudierenden Frauen sind, werden nur wenige zu Leitern von Büros oder zu Professorinnen. Die Quote der weiblichen Lehrstuhlleiterinnen liegt an der ETH Zürich bei gerade einmal 13 Prozent – unverändert seit 2012. Oder anders vorgezählt: Von 42 Lehrstühlen sind sechs in den Händen von Frauen.

 

Den Forderungen Nachdruck verleihen
Bereits im Rahmen des ersten Talks war ein neun Punkte umfassender Aktionsplan entwickelt worden. Geschehen, so sagen die Mitglieder der Parity Gruppe, sei am Departement Architektur der ETH seitdem aber wenig. Also wurde versucht, mit den Partity Talks II den Forderungen Nachdruck zu verleihen. 
Am Nachmittag wurde an vier Tischen diskutiert, wie konkrete Massnahmen in Struktur und Lehre implementiert werden könnten. Die Workshops waren prominent besetzt. archithese war mit Verlagsleiterin Andrea Wiegelmann und Chefredaktor Jørg Himmelreich vertreten. Es ging nicht darum, neue Ideen zu entwickeln, sondern die bereits formulierten Forderungen einer grösseren Öffentlichkeit vorzustellen, sie zu ergänzen und über die indirekte Zustimmung der Gäste den Druck auf das Departement zu erhöhen.
Schade war lediglich eine Professorin anwesend. Studierende waren ebenfalls nur wenige gekommen. Abgesehen vom Vorsteher Philip Ursprung fehlten die männlichen Professoren gar vollständig. Damit ist der Funke, gezündet vom Mittelbau, offensichtlich auf den beiden anderen Ebenen nicht so recht gezündet. 

 

Breitere Debatte nötig
Warum hat sich nur wenig getan, wo doch offensichtlich ein breiter Konsens herrscht, dass das Verhältnis zugunsten von mehr Frauen in den leitenden Positionen verändert werden müsse? Der Zeitpunkt im vergangenen Jahr, zu dem das Thema lanciert wurde, schien ebenso richtig wie günstig. Denn mit Annette Spiro war bis Juli 2017 eine Frau Vorsteherin und ein Generationswechsel unter den Professorinnen im vollen Gang. Es galt zwei Lehrstühle neu zu besetzen. Der für Kunst- und Architekturgeschichte (die Nachfolge von Andreas Tönnesmann) ging mittlerweile an Maarten Delbeke. Eine zweite Professur für Denkmalpflege wird eingerichtet. Es gilt die ausserordentliche Professur für Entwurf (Nachfolge Emanuel Christ und Christoph Gantenbein), sowie bis 2019 die Entwurfslehrstühle von Dietmar Eberle, Vittorio Magnago Lampugnani, Miroslav Šik, Marc Angélil und Kees Christiaanse neu zu besetzen. Die Buschtrommel will wissen, dass in Kürze zwei der Entwurfsprofessuren – aufgesplittet in vier halbe Stellen – wieder mit Männern besetzt werden. Die Stimmung des Talks war entsprechend gereizt. Missmut und Enttäuschung war aus vielen Voten herauszuhören. Annette Spiro sprach vor zwei Jahren von einer mangelnde Zahl geeigneter Bewerberinnen, die genug bekannt, erfolgreich, mit Erfahrungen in der Lehre und einer langen Publikationsliste ausgestattet wären. Dieser Argumentation hat die Parity Gruppe widersprochen und mit dem archithese-Sonderheft Architektur, die [fem.], Baukultur ist auch weiblich! eine üppige Liste möglicher Kandidatinnen vorgelegt. Das Renommee und die hohen Gehälter, die es der Schule seit vielen Jahren ermöglicht die besten, auch internationalen Architekturschaffenden anzuheuern, erweist sich hier als Achillesferse. Kein Wunder ist die männliche Konkurrenz gegenüber den wenigen weiblichen Bewerbern gross oder gar übermächtig. Um wirklich Veränderungen herzbeizuführen, müssten die Prioritäten - zumindes vorrübergehend - veschoben werden. 

 

Neue Ideen gesucht
Die Workshops brachten mehrere neue Ideen hervor, die noch in den 9-Punkte Plan eingearbeitet werden könnten. Eine Empfehlung war es, eine der Gastprofessuren immer mit einer Frauen zu besetzen oder eine Förderprofessur speziell für Frauen einzurichten. Zudem waren sich die Gäste einig, dass mehr über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nachgedacht werden muss. Dass es an der ETH eine Kinderkrippe gibt, ist gut. Aber für die mitunter langen Arbeitstage im D-ARCH bieten sie noch keine Lösung. 

 

Der 9-Punkte Plan
Folgende Forderungen sollen dem Departement Architektur übergeben und in der Departementskonferenz diskutiert werden:

1. Bildung eines Parity Boards bestehend aus je einer Vertretung aller Institute des D-ARCH, der Professorenschaft, des Fachvereins der Assistentinnen und Assistenten des D-ARCH (AAA), des Fachvereins der Architekturstudierenden (architektura), der Parity Group sowie einer externen Fachperson. Das Board ist dafür verantwortlich, die genannten Massnahmen für eine Geschlechter-Parität, ihre graduelle Umsetzung sowie ihre entsprechende Finanzierung in Angriff zu nehmen und weitere öffentliche Veranstaltungen wie die jährlichen Parity Talks zu organisieren.

2. Jährliches internes wie externes Monitoring und Veröffentlichung der bisher erreichten Ergebnisse der Gleichstellung

3. Geschlechter-Parität bei Professuren, Dozenturen, Oberassistenzen, Gastvorträgen und Gastkritiken

4. Geschlechter-Parität innerhalb der Berufungskommissionen am D-ARCH sowie unter den eingeladenen Kandidatinnen und Kandidaten, die in diesen Kommissionen vorstellig werden sollen.

5. Integration umfassender gender-relevanter Themen und Vermittlung geschlechtsspezifischer Kompetenzen in das Curriculum am D-ARCH durch Wahlfächer, Seminare sowie Vortragsreihen im Bachelor-, Master- und im postgradualen Studium sowie durch eine bewusste Unterrichtsmethodik. Eine mögliche Sofortmassnahme wäre die Aufstellung einer gesonderten Finanzierung eines solchen Kurses, der jedes Semester von einem anderen Lehrstuhl veranstaltet werden würde.

6. Bildung eines Advanced-Award-Programms, das Stipendien an Wissenschaftlerinnen vergibt, die sich dadurch ganz auf ihre Forschung und Lehre konzentrieren können. Dieses Stipendium soll in erster Linie in einer Übergangszeit zwischen einzelnen Stufen im akademischen Curriculum (Doktorat, Habilitation und Professur) vergeben werden, bis eine angemessene Geschlechter-Parität erreicht wird.

7. Bildung eines Fonds zur Finanzierung von Gastvorträgen externer Referentinnen und zur Bezuschussung der Reisekosten von Wissenschaftlerinnen des D-ARCH bei externen Vorträgen, Tagungsbesuchen und so weiter. Dieser Fonds soll in erster Linie in einer Übergangszeit die Wahrnehmung von Akademikerinnen und Architektinnen erhöhen, bis eine angemessene Geschlechter-Parität erreicht wird.

8. Einführung eines Stipendiums für weibliche und männliche Doktorierende, die sich in ihrer Arbeit mit einer Gender-Thematik in Architektur oder Städtebau beschäftigen.

9. Geschlechter-Parität bei Auszeichnungen an Studierende für herausragende Master- und Doktorarbeiten durch die Bereitstellung von jeweils zwei respektive geradzahligen Preisen. Eine solche paritätische Auszeichnung würde die vorbildliche Praxis der Aufnahme jeweils einer Stipendiatin und eines Stipendiaten pro Jahr in den laufenden Doktoratsprogrammen am D-ARCH aufgreifen.

 

> Wie schaut es mit der Situation queerer Menschen in der Architektur aus? archithese hat dem Thema eine ganze Ausgabe gewidmet.

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