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Die Rekonstruktionsdebatte ist reif für's Museum.

Zur Eröffnung der «neuen» Frankfurter Altstadt beleuchtet das Deutsche Architektur Museum in Frankfurt mit der Schau Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900 die wechselvolle Geschichte des Ortes und zeigt, dass die kontroverse und hitzige Debatte über die (Re-) Konstruktion bereits seit Jahrzehnten andauert.

Text: Julian Bruns – 20.9.2018


Vom 28. bis zum 30. September 2018 wird das gerade vollendete und neu «Dom-Römer» getaufte Quartier mit einem dreitägigen Fest eröffnet. Passend dazu zeigt das DAM die Ausstellung Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900. Darin geht es jedoch nicht nur um die aktuelle Debatte. Stattdessen wollen die Kuratoren aufzuzeigen, dass bereits seit fast 120 Jahren über die Gestaltung der Stadt an dieser Stelle gestritten wird. Und – zwanfgsläufig angesichts der grossen Bedeutung dieses Ortes für die Deutsche Geschichte – wurde dabei immer wieder versucht, dem Ort neue politische oder kulturelle Botschaften einzuschreiben. 


Prekäres Leben in der Altstadt
Startpunkt der Ausstellung ist der Wandel zur modernen Gesellschaft vor etwa 120 Jahren, als die Altstadt im Zuge der Stadterweiterungen nach der Schleifung der Stadtmauern von den gutsituierten Bürgern verlassen wurde. Weil die Mieten sanken zog es im Rahmen der fortschreitenden Industrialisierung immer mehr Arbeiter in die Wohnungen entlang der engen Gassen. Unter Stadtbaurat Ernst May in der Ära des Neuen Frankfurts wurden die Lebensbedingungen der Altstadtbewohner erstmalig untersucht und städtebauliche Massnahmen für eine bessere Belüftung und Belichtung diskutiert. Letztlich waren es aber die Nationalsozialisten, die unter dem Begriff «Altstadtgesundung» die teilweise prekären Situationen verbesserten. Gleichzeitig wurden die baulichen Massnahmen aber auch genutzt, um ideologisch unerwünschte Bevölkerungsgruppen zu vertreiben.

Postmoderne und Rekonstruktion
Nach der fast vollständigen Zerstörung der Altstadt 1944 begann bereits vor Kriegsende eine erste Debatte um den Wiederaufbau. Nationalsozialistisch Gesinnte wollten die Ruinen als Mahnmal nutzen, um gegen die alliierten Feinde zu hetzen. In den 1950er-Jahren wurde dann unter der sozialdemokratischen Stadtregierung ein Mix aus Wiederaufbau und radikaler Ersatzneubebauung betrieben. Stadtraumprägende Bauten, wie das Steinerne Haus und der Römer wurden wieder aufgebaut. Anfang der 1960er-Jahre folgte dann der Wettbewerb für das neue Technische Rathaus. Dieses grossformatige, multifunktionale und brutalistische Bauwerk, wurde aufgrund der Wirtschaftskrise jedoch erst 1974 fertiggestellt. In den 1980er-Jahre wurden einige postmoderne Wohnbauten hinzugefügt und die international bekannte Schirn Kunsthalle (1986) von Bangert Jansen Scholz und Schultes Architekten. Etwa zeitgleich wurden die Ostzeile entlang des Römerbergs rekonstruiert. Damit wollte die Stadt ihr schlechtes Image aufbessern, dass von Kritikern bishaft «Bankfurt», «Krankfurt» oder «Junkfurt» genannt wurde. Es sollte ein «Identifikationsobjekt» für die Bevölkerung entstehen. Wie auch heute waren die Denkmalpflege und grosse Teile der Architektenschaft gegen dieses Projekt. 


Städtebau als Wahlkampfthema
Nach einer kurzen Phase der Ruhe, löste ein Wettbewerb für den Rathausneubau 2005 die aktuelle Debatte über den Neubau der alten Stadtstruktur aus. Der siegreiche Entwurf von KSP Engels war stark umstritten, sodass sich die Stimmen für eine Struktur nach historischem Vorbild mehrten. Wie bei kaum einer architektonischen Debatte zuvor, trafen politische und ideologische Interessensverbände aufeinander. Das Vorhaben wurde sogar Thema im kommunalen Wahlkampf und später von der frisch gewählten schwarz-grünen Koalition als Agenda ausgegeben. Das Ergebnis dieser Debatte kann nun in Frankfurt besichtigt, belebt und bewohnt werden.


Festgefahrene Positionen
Die Ausstellung fokussiert weniger auf die verschiedenen Ideen und Projekte oder die umgesetzten Massnahmen, als auf die Stimmen und Diskursbeiträge. So gibt es eine reichhaltige Sammlung an Zitaten von verschiedenen Zeitzeugen der jeweiligen Epochen. Es kommen Historiker, Schriftsteller, Journalisten, Architekten, Städtebauer und Politiker zu Wort. Die konzentrierten und pointierten Zitate spiegeln die hitzigen Debatten wieder. Sie zeigen in all ihrer Polemik aber auch deutlich, wie wenig sich die Oppsition der Haltungen in den letzten 120 Jahren verändert haben. Eine Meinung zur neuen Altstadt muss sich der Besucher selber bilden. 

Die Ausstellung Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900 ist vom 22. September 2018 bis zum 10. März 2019 im Deutschen Architektur Museum in Frankfurt am Main zu sehen.

 

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