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Von Entwicklern, Politikern und Oligarchen

Reinier de Graaf hat für OMA Grossprojekte auf der ganzen Welt begleitet. Im Buch Four Walls and a Roof. The Complex Nature of a Simple Profession schrieb er seine Erfahrungen mit Developern, Politikern und Oligarchen nieder. Am 8. März 2018 feierte das Werk in der Alten Akademie in München Vernissage. Der Anlass war zugleich Auftakt des Kongresses Architecture Matters, der in diesem Jahr unter dem Motto «Money Talks?» stattfand.

 

Text & Bilder: Elias Baumgarten – 13.3.2018

 

Reinier de Graafs Buch Four Walls and a Roof dreht sich um Macht, Geld und Einfluss. Architektur, so sagt er, ist ein «Symptom» wirtschaftlicher Entwicklung. In seinem Werk erzählt er in 44 kurzen Aufsätzen von seinen Erfahrungen mit Entwicklern, Politikern und Oligarchen auf der ganzen Welt, etwa in London, Spanien, Dubai und Russland. Nicht alle Texte sind extra für das Buch entstanden – auch Auszüge aus De Graafs Tagebuch, Interviews, ein offener Brief und ein Fotoessay werden geboten. So soll das Buch auch Nicht-Architekten abholen.
Doch De Graaf, der bisweilen humorvoll und auch ironisch schreibt, möchte nicht nur unterhalten: Er will mit dem Mythos vom Architekten als Held aufräumen, der die gebaute Umwelt allein nach seinen Vorstellungen gestaltet – diese Idee hält er für überaus naiv. An der Vernissage, die am 8. März 2018 als Auftakt des Kongresses Architecture Matters in München stattfand, sagte er: «Viele halten Architekten für mächtige Player im Bauprozess, doch das ist leider falsch.» Vielmehr, so fuhr er fort, sei die Disziplin immer eng mit wirtschaftlichen und politischen Interessen verbunden und oft starkem Druck von aussen ausgesetzt. Während andere – besonders die Entwickler – an den Projekten verdienen, tragen Architekten vor allem grosse Risiken, beklagte er an der Vernissage. OMA etwa beschäftigt deswegen mittlerweile drei Anwälte und weitere werden bald hinzukommen.  

 

Naivität ablegen
De Graaf vertritt die These, dass es der Architektenschaft an ökonomischem und politischem Einfluss mangelt. Und so erzählt er im Buch vor allem Geschichten vom schmerzvollen Scheitern und bitteren Einsichten. Er beschreibt etwa, wieso er sich bei Bauprojekten mehrfach verschaukelt und hinters Licht geführt fühlte. 
So erfahren die Leser zum Beispiel, dass OMA 2007 beauftragt wurde einen Universitätscampus und das Hauptquartier eines Ölkonzerns in Kasachstan nahe der chinesischen Grenze zu entwerfen. Heissen sollte die grosse Anlage Naukograd. An den Auftrag kam das Team, weil die Tochter eines Beraters des Auftraggebers in Amerika studierte und OMAs Architekturen bewunderte; einen Wettbewerb gab es nicht. Nachdem der Masterplan schliesslich fertiggestellt war, wurden die Architekten zu ihrer Überraschung aufgefordert, diesen per Mail zu senden und nicht wie abgemacht persönlich zur Präsentation zu erscheinen. Sie erhielten rasch einen Vorschuss auf ihre Honorare – als Anreiz nicht nach Kasachstan zu fliegen, meint De Graaf heute. Danach herrschte Schweigen, bevor im Internet ein frappierend ähnlicher Entwurf auftauchte. Einige Gebäude wiesen dabei dieselben charakteristischen Dächer auf, wie die Häuser des neben dem Bauplatz befindlichen Skiresorts. Bald erfuhr OMA warum: Man wurde per Fax vom Auftraggeber benachrichtigt, dass er die nötigen Grundstücke nicht habe kaufen können und nun der Betreiber des Skiresorts darauf baue. Man wolle aber, so hiess es weiter, den Campus mit selben Designprinzipien für einen anderen Ort adaptieren. Reinier de Graaf glaubt heute an ein abgekartetes Spiel von Ölfirma und Resortbetreiber. Als Indiz wertet er auch, dass der Bauunternehmer, welcher die Anlage verwirklichen sollte, zuvor nicht nur den kasachischen Präsidentenpalast, sondern auch das Skiresort gebaut hatte. Die Architekten kündigten daraufhin die weitere Zusammenarbeit enttäuscht auf.

 

Kritik an der Ausbildung
Doch was tun, um die Lage der Architekten zu verbessern? Wenig hält De Graaf von der Idee, Architekten sollten als Gestalter und Entwickler in Personalunion auftreten, um ihre Position zu stärken. Er glaubt, so machte er an der Vernissage deutlich, dass diese Aufgabenteilung durchaus sinnvoll ist. Stattdessen wünscht er sich Architekten, die mit viel Hintergrundwissen für ihre Überzeugungen eintreten und dabei nötigenfalls auch Aufträge ablehnen. An der Vernissage kritisierte er entsprechend die Architekturausbildung – hier muss künftig angesetzt werden, so seine Botschaft. Er fordert jungen Gestaltern mehr Einblick in die Praxis und vor allem die wirtschaftlichen und politischen Spannungsfelder zu geben, in denen sie später operieren müssen, ihnen ein Stück ihrer «Naivität» zu nehmen, wie er sagte, statt sich vornehmlich mit ästhetischen Fragen zu befassen. Scharf griff er die Hochschulen in den USA an: Dort würden Abgänger selbst rasch zu Lehrern aufsteigen – ohne je gebaut zu haben. Dozenten und Professoren müssen sich aber selbst «die Hände schmutzig gemacht» haben, findet De Graaf. Er warnte davor, dass dieser Trend durch den vermehrten Ruf nach Wissenschaftlichkeit künftig nach Europa schwappen könnte. Dabei ist De Graaf kein Gegner der Architekturtheorie, sondern wünscht sich Lehrer, die theoretisch bewandert sind und gleichzeitig Erfolge mit ihrem eigenen Büro vorweisen können – so wie Rem Koolhaas, fügte er lachend an.

 

Reinier de Graafs Buch ist in englischer Sprache bei Harvard University Press erschienen und ab USD 26,45 erhältlich. Eine deutsche Übersetzung ist geplant, doch ihr Erscheinungsdatum steht noch nicht fest.

 

> Lesen Sie eine Kritik von archithese-Chefredaktor Jørg Himmelreich zum Umbau des Fondaco dei Tedeschi in Venedig von OMA.

> Mitte Januar 2017 wurde bekannt, dass OMA das Areal der Granada Studios in Manchester umgestalten wird.

> Hier erfahren Sie mehr über die Projekte von OMA in Asien und Dubai.

> Lesen Sie einen Bericht von der zweiten Auflage des Kongresses Architecture Matters im März 2017.

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