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Die Hausaufgaben nicht erledigt?

Auf grossen Jubel folgte Katerstimmung: Die junge Münchner Genossenschaft Kooperative Grossstadt gab vor Wochenfrist bekannt, dass die Gestaltung, mit der Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer den offenen Realisierungswettbewerb zum Haus «San Riemo» gewannen, nicht gebaut wird. Stattdessen kommt die zweitplatzierte Arbeitsgemeinschaft aus Summacumfemmer und Juliane Greb zum Zug, nachdem man alle drei Teams auf dem Podium hatte nacharbeiten lassen. Als Grund nannten die Genossen mangelnde Wirtschaftlichkeit.
Auf archithese-Nachfrage hat die Kooperative Grossstadt sich nun schriftlich geäussert und ihre Sicht des Vorgangs dargestellt.

 

Text: Elias Baumgarten – 1.10.2017

 

Hochgesteckte Ziele
Die Kooperative Grossstadt ist ausgezogen, frischen Wind in den Münchner Wohnbausbau zu bringen und ihn langfristig vielleicht sogar umzukrempeln. Um den eigenen architektonischen Ansprüchen gerecht zu werden, wurde für die Gestaltung des ersten Hauses «San Riemo» ein offener Realisierungswettbewerb ausgelobt. Dessen öffentliche und transparente Jurierung brachten grosses Lob ein. Doch wenige Wochen später sehen sich die Genossen mit grossen Problemen konfrontiert und verkündeten schliesslich, dass der siegreiche Entwurf nicht verwirklicht wird – just aus Gründen ökonomischer Effizienz. Was ist geschehen?

 

Schuldzuweisungen
Nachdem die Genossen kürzlich bereits in der Süddeutschen Zeitung gegen die Architekten geschossen hatten und monierten, man könne beim Planen und Bauen in München keine Zürcher Massstäbe ansetzen, schieben sie den Schwarzen Peter nun vor allem der Jury zu. So sei bereits bei der Jurierung vom Berater für Kostenfragen deutlich darauf hingewiesen worden, dass das spätere Siegerprojekt unter den 14 Finalisten die schlechteste wirtschaftliche Performance verspreche und «in erheblichem Umfang» über dem Budget liege. Er schätze die Baukosten damals auf EUR 8,86 Millionen – mehr als 2 Millionen oder anders ausgedrückt 30 Prozent über dem finanziellen Spielraum der Kooperative. Doch die Jury habe die Kostenfrage als lösbar bewertet und man sei der Einschätzung gefolgt, erklärt die Genossenschaft. Dabei habe man allerdings immerhin nochmals ausdrücklich auf die wirtschaftlichen und zeitlichen Zwänge, denen das Projekt unterliegt, hingewiesen.

 

Zahlen auf den Tisch
Für die Genossenschaft «San Riemo» war eine Flächeneffizienz von 75 Prozent gefordert. Das bedeutet, es muss eine Wohnfläche von 2 550 Quadratmetern aufgespannt werden. Nach der Überarbeitung ihrer Gestaltung legte die siegreiche Arbeitsgemeinschaft einen Entwurf vor, der laut Berechnungen der Kooperative Grossstadt auf 2 415 Quadratmeter kam. Man könne dieses Ergebnis durch weiterer Flächenoptimierung auf 2 495 Quadratmeter hochschrauben, indem man etwa im «Filialturm» weiteren Wohnraum freispiele, so die Genossen in ihrer Stellungnahme.
Um die danach noch immer fehlenden Quadratmeter wettzumachen, hätten die Baukosten deutlich sinken müssen. Doch obschon diese während der Überarbeitung durch die Architekten um 17 Prozentpunkte gedrückt wurden, blieben sie mit EUR 7,35 Millionen deutlich über dem Budget von EUR 6,7 Millionen. Zudem hält der Kostenplaner der Kooperative damit das Einsparpotenzial für zur Gänze ausgereizt und befürchtet, der Bau berge in der Umsetzung aufgrund seiner technische Komplexität eher weitere Risiken.
Der zweitplatzierte Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Summacumfemmer und Juliane Greb hingegen kommt nach dessen Überarbeitung auf 2 615 Quadratmeter Wohnfläche und bleibt mit EUR 6,61 Millionen knapp im Budget.

 

Keine Zeit für weitere Überarbeitungen
Die Kooperative Grossstadt hat mehrfach ihr Bedauern darüber bekundet, die Gestaltung von Tim Schäfer, Pablo Donet Garcia und Tanja Reimer bachab geschickt zu haben. Doch warum wurde nicht weiter für den Entwurf gekämpft? Zeitmangel lautet die Begründung: Der Ankauf des Grundstücks müsse zeitnah geschehen, so die Genossen, und den an der Finanzierung beteiligten Bewohnern wie der Bank müsse umgehend eine stichhaltige Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgelegt werden, ein zeitlicher Aufschub sei daher nicht möglich. An dieser Stelle scheint die Argumentation unbefriedigend: Konnte oder wollte man nicht am Ball bleiben?
In der Süddeutschen Zeitung war indes zu lesen, dass die Debatten und die Nachbesserungen der Architekten aus Sicht der Genossenschaft schliesslich doch etwas Gutes gehabt hätten: Man sei sich über die eigenen Wünsche klarer geworden und habe erkannt, dass man doch mehr klassisches Wohnen und weniger Gemeinschaft wolle. Beim Blick auf die Grundrisse scheint der Entwurf von Florian Summer, Anne Femmer und Juliane Greb tatsächlich einen Tick pfiffiger und innovativer als die verworfene Gestaltung. Treppenhäuser und Liftschächte wurden auseinandergezogen und die Wohnungen werden jeweils über eine grosse Küche betreten, die so gleichsam zum Mittelpunkt und zur «Kreuzung» aller Wege in den Wohnungen avanciert. Auf diese Weise wird sehr effizient mit dem zur Verfügung stehenden Platz umgegangen und die gewünschte Wohnfläche sogar deutlich übertroffen. Das ursprünglich siegreiche Team hatte dagegen auf Laubengänge als soziale Interaktionsflächen gesetzt und dafür einen Teil der Wohnfläche geopfert. 

 

Aus Fehlern lernen
Doch welche Botschaft gibt der Wettbewerb mit auf den Weg? Unstrittig dürfte sein, dass ein offen jurierter Wettbewerb der Architektur gut tut – gerade auch in München. Von der dortigen Kommunalpolitik wurde das Modell über Parteigrenzen hinweg denn auch sehr positive bewertet. Die Grünen sehen den Prozess sogar als derart vorbildlich, dass sie im Stadtrat einen Antrag für mehr offene Wettbewerbe angestossen haben, um architektonische Vielfalt und Qualität in der bayerischen Metropole zu vergrössern und die bauliche Monotonie aufzubrechen. 
Doch es muss auch eine andere Lehre gezogen werden: Künftig sollten wirtschaftliche Anforderungen klarer benannt werden und bei der Bewertung mit entsprechender Gewichtung einfliessen. Architekten und Jury müssen genau um ökonomische Schranken wissen und darauf reagieren. Entwürfe, welche den Kostenrahmen übersteigen, müssen unmittelbar aus dem Rennen genommen werden. Dies auch, um die versprochene Transparenz zu wahren und sich nicht den Verdacht der Trickserei einzuhandeln.

 

> Lesen Sie mehr zur Jurierung des Wettbewerbs der Genossenschaft «San Riemo» und zum nun verworfenen Siegerentwurf.

> Christian Inderbitzin leitete die Jury der Kooperative Grossstadt. Er verfasst für archithese 4.2017 Ruinen, die am 1. Dezember erscheint, einen Aufsatz über die Ruine als Denkmodell. 

> Wie könnten neue Konzepte für gemeinschaftliches Wohnen aussehen? Diese Frage umkreiste die Schau Together! Wie wollen wir wohnen?, die im Sommer im Vitra Design Museum zu sehen war.

> Japans Beitrag zur 15. Architekturbiennale in Venedig adressierte soziale Veränderungen und die Gefahr der Vereinsammung durch einen Trend zum Singledasein; aufgezeigte wurden architektonische Lösungsansätze.

> Die Drittplatzieren Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan nahmen am 4. Oktober 2016 im Rahmen von archithese kontext an der Veranstaltung Aktualität der Postmoderne teil.

> Für Heft 3.2017 Bri-Collagen setzten sich Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan mit Made In zusammen, um über ihre Konzepte und Architekturauffassung zu debattieren.

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