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Der grosse Wurf?

Santiago Calatrava darf Jahrzehnte nach seinem Bahnhofs-Erstlingswerk erneut in Zürich am Stadelhofen bauen.

 

Der Bahnhof Stadelhofen, heute einer der drei wichtigsten S-Bahnkonten der Stadt Zürich, war der erste grosse Entwurf des spanischen Ingenieurs und Architekten Santiago Calatrava. Nun, fast drei Jahrzehnte und zahlreiche internationale Erfolge später, wird Calatrava am selben Ort erneut bauen. Gerade wurde sein Design für ein Geschäftshaus für das Versicherungsunternehmen Axa Winterthur der Öffentlichkeit präsentiert. Und schon hat die Debatte um seine architektonische Qualität Fahrt aufgenommen. Die Urteile klaffen auseinander: Während einige ihm das Potenzial zusprechen die städtebauliche Situation am Bahnhof Stadelhofen zu verbessern, finden andere seine hermetische Lamellenfassade uninspirerend.

 

Text: Elias Baumgarten
Visulisierungen © Calatrava Valls

Bald dreissig Jahre sind seit Fertigstellung des Bahnhofs Stadelhofen ins Land gegangen. Über 80 000 Menschen frequentieren heute täglich die dynamische Konstruktion aus Stahl und Beton, die Max Frisch einst in einem Rundumschlag gegen die postmoderne Architektur als «Konditorei aus Eisenbeton» verspottete. Wie in der vergangenen Woche bekannt wurde, darf Calatrava nun erneut in Stadelhofen tätig werden. Der Stararchitekt hat von Axa Winterthur einen Direktauftrag erhalten: Wo sich heute das «Haus zum Falken» mit dem Café Mandarin befindet, soll ein neues Geschäftshaus für die Versicherungsgesellschaft entstehen.

 

Die Kontroversen haben begonnen
Unmittelbar mit der Veröffentlichung erster Visualisierungen zum geplanten Neubau hat sich ein reger Diskurs entsponnen: Während sich die Zürcher Architekturszene noch uneins ist, die Gestaltung in den sozialen Netzwerken bisweilen heftig attackiert und etwa über das grasbewachsene Dach gespottet wird, schreibt NZZ-Autor Adi Kälin, der Bau werde Zürich gut tun und man solle sich über ein solch aussergewöhnliches Projekt freuen. Für ihn bringt Calatrava frischen Wind in Zürichs Architekturdiskurs, dessen Protagonisten den Mut vermissen liessen, sich weit aus dem Fenster zu lehnen. Und tatsächlich unterscheidet sich der Entwurf deutlich vom soliden aber mitunter uniformen Zürcher Baugeschehen.

 

Gelungene städtebauliche Setzung
Anders als die jetzige Bebauung ist die Fläche des Erdgeschosses des polygonalen Baukörpers zurückgenommen, während die vier Obergeschosse über die Gebäude kontinuierlich weiter auskragen. So wird ein Durchgangsraum zum Bahnhof freigespielt, welcher die Passantenströme aufnehmen und so die städtebauliche Situation verbessern kann. Zudem sieht der Entwurf drei Untergeschosse mit direktem Zugang zum Bahnhof vor, die Stellflächen für 1000 Velos bieten und so die Situation am mit Fahrrädern vollgestopften Stadelhoferplatz entspannen wird. Aus dieser Konfiguration dürfte sich ein stadträumlicher Gewinn ergeben.

 

Eine stimmige Fortsetzung der Bahnhofsarchitektur?
Der Architekt betont, seine Gestaltung würde die Architektur der Umgebung aufgreifen und sei eine Bezugnahme zu seinem Erstling nebenan. Doch leider ist diese abgesehen von den, auf die gegenüberliegenden Stadthäusern angepassten Traufhöhen schwer zu finden und das Projekt ist – wie viele Bauten Calatravas – ein Solitär.
Das Motiv der stählernen Rippen scheint in der Fassade indes tatsächlich auf – wenngleich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Überführung der Bahnhofarchitektur in eine horizontale Fassadengliederung bleibt. Ob der Bau unterdessen mit der Dynamik und scheinbaren Leichtigkeit der Bahnhofsüberdachung und der Passage mithalten kann, ist ungewiss. Auf den Visualisierungen wirkt das Volumen vergleichsweise kantig und schwer. Es bleibt zu befürchten, dass die Hülle dem Gebäude eine massstabslose und abweisende Wirkung verleiht, die auch die vorsichtige Öffnung des Erdgeschosses zum Bahnhofsplatz hin nicht wettmachen kann.

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