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archithese - die frühen Jahre

Das Nidwalder Museum Winkelriedhaus lädt am 5. März zwischen 10.00 und 14.00 Uhr zum Kolloquium archithese ein. Die Veranstaltung wird sich mit den Heften 1–20 aus den 1970er-Jahren auseinandersetzen. Dabei wird natürlich die Postmoderne und ihr Niederschlag im Schweizer Architekturdiskurs ein wichtiges Thema sein. Für die Redaktion der archithese ist die Veranstaltung Auftakt zu einer umfassenden Beschäftigung mit der Postmoderne in diesem Jahr. Es sprechen unter anderem Friederike Pfromm, André Bideau, Benedikt Boucsein, Dieter Schnell, Hilar Stadler, Martin Steinmann und Stanislaus von Moos.

 

Text: Gerold Kunz
Plakat: Nidwalder Museum Winkelriedhaus 

 

Neue Ansätze im Architekturdiskurs
Das Konvolut der zwanzig «Niggli-Hefte» aus den 1970er Jahren unterscheidet sich verglichen mit der Zeitschriftenproduktion unserer Tage offensichtlich: das kleine Format, der Verzicht auf Farbe (nur die Titelblätter waren farbig) oder die verspielte Typografie ordnen die Schriftenreihe eher der Alternativkultur als der Architektur zu. Für achzehn Ausgaben hat der Kunsthistoriker Stanislaus von Moos als Redaktor die Themen gesetzt. Zu Urbanismus, Metropolis und zum Kollektiven Wohnungsbau hat er sogar mehrere Hefte gestaltet. Die Ausgabe 6 (Tragende Häute) wurde von der Architektin Lisbeth Sachs verantwortet, die Ausgabe 19 über den Realismus von Bruno Reichlin und Martin Steinmann, der von Beginn an zum Kreis der ständigen Mitarbeiter der archithese zählte. Persönlichkeiten wie Max Bill, Lucius Burckhardt oder Walter M. Förderer gehörten ebenfalls dazu, aber auch internationale Experten wie Kenneth Frampton, Charles Jencks oder Julius Posener. Mit Ausgabe 16 stiess, als erste Frau, Denise Scott Brown als ständige Mitarbeiterin zum Team. Den im Verlag Arthur Niggli erschienen Heften 1–20 waren 1971 zwei Ausgaben und eine Doppelnummer der archithese vorausgegangen, die der Verband freierwerbender Architekten (FSAI) im Verlag der Imprimeries Réunies vertrieb und die vom Luzerner Grafiker Paul Diethelm gestaltet wurden. Der Redaktion gehörte neben dem Kunsthistoriker Stanislaus von Moos und dem Architekten Jean-Claude Widmer auch Albert Büsch an. Von Moos und Reinhard waren seit 1969 verbunden. Reinhard besorgte damals die Redaktion des FSAI-Bulletins, für welches er von Moos als Verfasser mehrerer Leitartikel gewinnen konnte. Sie entwickelten um 1970 zusammen die Idee einer «Kleinzeitschrift im Architektursektor», die dann, nachdem auch der Lausanner Journalist und Kritiker Jean- Claude Widmer dazugestossen war, zur archithese führte.

 

Zwischen einordnen und Kommentieren
Markige Worte setzte die Redaktion 1971 ins Editorial ihrer allerersten Ausgabe: «Unsere Städte veröden von Tag zu Tag. Die offiziellen Planungsprinzipien sind fragwürdig.» Auch der erste Artikel von Eliane Perrin über die Wohnungsfrage der Gastarbeiter in der Schweiz war nicht das, was sich ein Architektenverband an Inhalten in einer eigenen Zeitschrift erhoffte. Dem Verband standen im fünfzigseitigen und in Deutsch und Französisch verfassten Heft für die FSAI-Chronik nur zwei Seiten zur Verfügung. Im redaktionellen Teil widmete sich kein Artikel dem aktuellen Architekturschaffen, was innerhalb des FSAI kritische Stimmen beförderte. Bereits in Heft 2/1971 stellte Hans Reinhard als Zentralpräsident des FSAI klar, dass «die Redaktion und die Autoren der Beiträge (…) ihre persönlichen Meinungen zu bestimmten Themen» äusserten. Dennoch sah sich Reinhard zur Aussage genötigt, dass sich der FSAI nicht mit den vertretenen Standpunkten identifiziere, hingegen den Wunsch auf ein lebhaftes Echo und auf eine aktive Teilnahme an der Diskussion mit der Redaktion teile.

Die damals noch in Lausanne gedruckte Zeitschrift eckte innerhalb des FSAI an, sodass der Verband nach dem ersten Jahr nach einem anderen Weg suchte. Von Moos brachte den FSAI mit dem Verleger Arthur Niggli zusammen, der sich für die Herausgabe einer Zeitschrift mit thematischen Heften in Form einer Schriftenreihe trotz grundsätzlichen Bedenken gewinnen liess. Damit konnte, zwar mit beschränkten finanziellen Mitteln und vom FSAI weiterhin unterstützt, das Projekt archithese neu gestartet werden. Die Verantwortung für die Themenwahl ging dabei vom Verband an Redaktion und Verleger über. Bis 1976 erschienen die Nummern 1–20, die Gegenstand des Kolloquiums sind. Ab 1977 lebte die archithese in veränderter Form als werk-archithese weiter, bis es 1979 wieder zur Trennung kam. Seither wird die «Schriftenreihe für Architektur» als offizielles Organ des FSAI weitergeführt. Mit kulturpolitischem Unterton Urbanismus, Historismus, Denkmalpflege, Las Vegas, Realismus oder das Kollektivwohnhaus: kaum ein Thema, das die archithese in ihren ersten Ausgaben nicht kommentierte. Im Rückblick werden die Nummern 1–20 der Jahre 1972 bis 1976 wegen ihrem kulturpolitischen Unterton, der Abkehr vom architektonischen Objekt und der internationalen Ausrichtung der Inhalte zur Gegenposition des damaligen Architekturdiskurses, der sich um Rolf Kellers «Bauen als Umweltzerstörung» drehte.

Inhalte und Fragestellungen spiegeln von Moos’ Interessen. In Heft 11/1975 beschreibt er sein Dilemma, in das er zwischen seiner Funktion als Historiker und jener des Redaktors geriet. Als Historiker interessiere ihn vor allem die Frage, «wie es dazu gekommen ist, dass unsere Baudenkmäler oder ganze Stadtzentren heute im allgemeinen anders aussehen und funktionieren als in der Vergangenheit.» Ihn fasziniert das gelungene Ineinanderspiel von Wisseen und Können, von Berechnung und Phantasie, Logik und Witz. Als Redaktor hingegen sah er sich «zum Versuch genötigt, Stellung zu nehmen: zu der Frage, welches die grundsätzlichen Voraussetzungen dafür sein mögen, dass unsere Städte bewohnbar bleiben (oder wieder bewohnbar werden). Diese Frage stellt sich auf einer anderen Ebene als jener des Gelingens von Fall zu Fall. Sondern auf der Ebene der Prinzipien und Leitvorstellungen, die unsere Planung bestimmen.»

 

Über den Tellerrand schauen
FSAI und archithese standen auch während der Zusammenarbeit mit Niggli weiterhin im Dialog. Vom Seminar des FSAI zu den Problemen des Heimat-, Natur- und Landschaftschutzes auf dem Bürgenstock wurde der Vortrag des Soziologen Jean Pierre Junker zum Thema der Erhaltung von innerstädtischem Wohnraum in archithese 1/1972 abgedruckt. Am FSAI-Seminar 1975 zum Thema «Amerika baut anders», das wiederum auf dem Bürgenstock stattfand, hielt Stanislaus von Moos einen Vortrag, der auf den Inhalten von Heft 13/1975 beruhte, in dem die Arbeiten von Robert Venturi und Denise Scott Brown vorgestellt wurden. Der Architekt Dolf Schnebli berichtete am Seminar über seine Erfahrungen beim Bau der Washington-Universität in St. Louis, die er im Team mit George Anselevicius und Roger Montgomery 1970 realisierte. Reinhard stellte fest: «Sie sind nach Amerika gegangen und haben sicher viel gelernt. Aber sie haben dort gebaut wie wir hier bauen. (...) Ich bin irgendwie irritiert und frage mich, was die Leute bewegt, immer wieder nach diesem Amerika zu fahren.»

Von Moos antwortete mit dem Hinweis, dass viele Architekten, die von Europa nach Amerika zogen, gemerkt hätten, «dass sie da mehr leisten können als in Europa möglich wäre,wo die ‹demokratischen› Kontrollmechanismen (...) anders und fester etabliert» seien. Schnebli antwortete lakonisch, man lerne ein wenig grosszügiger zu denken, als man es hier gewohnt sei. «Das würde manchem Schweizer gut tun.» Mit den Metropolis-Heften, den Ausgaben 17, 18 und 20 des Jahres 1976, nahm von Moos das Thema Amerika mit Fokus auf New York nochmals auf und setze einen gewichtigen Schlussstein in die Reihe der 20 «Niggli-Hefte».

 

Start zur umfassenden Reflexion der Postmoderne in archithese
Mit Freude dürfen die anwesenden ehemaligen Redaktoren nun auf das neue Design der archithese blicken. Denn im Oktober 2015 kehrte das Heft zu einem kleineren, handlicheren Format und zu verspielteren Layouts zurück. Und auch einen weiteren Ball werden Altmeister und Redaktion in diesem Jahr hin- und herspielen. Auf das Kolloquium folgt im Herbst eine grosse Konferenz der archithese zum Thema der Postmoderne. Im kommenden Jahr greift dann das Nidwaldener Architekturforum das Thema des Architekturdiskurses in den 1970er Jahren mit Fokus auf das Heft ein weiteres mal auf… 

 

Das Kolloquium archithese findet am 5. März zwischen 10.00 und 14.00 Uhr im Museum Winkelriedhaus, Mürgstrasse 12 in Stans statt.
Um Anmeldung an elian.grossrieder@nw.ch oder +41 41 618 73 40 wird gebeten.

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