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Eine Rückschau in drei Akten

Das Zürcher Migros Museum für Gegenwartskunst im Löwenbräu-Areal feiert sein zwanzigjähriges Bestehen und lädt auf eine Reise übers Meer ein.

 

Text: Imogen Macpherson – 04.01.2017
Fotos: Nicolas Duc

 

Prolog – Hafen
Alles ist weiss, schlicht, nackter Betonboden. Doch um die Ecke nach dem Entrée flimmert ein kunterbuntes Leuchten aus der nächsten Halle. Die Neugier ist geweckt. Das Museum reflektiert mit einer Auswahl von Werken aus dem eigenen Bestand der Sammlung und Ausstellungsplakaten seine Aktivitäten aus zwanzig Jahren.

 

Erster Akt – Wellengang
Der Boden des weiten Raumes ist mit etwa zwanzig grossen Blöcken in verschiedenen, knalligen Farben bestückt, wie ein Meer aus klumpigen Pixeln. Darauf verteilt liegt eine Auswahl aus Publikationen des Museums der letzten zwei Jahrzehnte. Sie laden ein, sich auf den glatten, verschieden hohen Oberflächen niederzulassen und etwas zu stöbern. Rund um die farblich übersättigten «Holzpixel» ist ein Rundgang freigelassen, sodass die bunten Plakate an den Wänden aus der Nähe betrachtet werden können. Es sind Ausstellungsposter des Migros Museums, angefangen mit MONO von 1999 über The Future has a Silver Lining von 2004 bis zu Resistance von 2016. Drei Wände des Raums sind über die ganze Höhe behängt. In der chronologischen Reihe der Plakate ist die Entwicklung des Museums vor allem aus der grafischen Perspektive ersichtlich, sowie ist es eine kurz erfassbare Übersicht aller vergangenen Ausstellungen. Die älteren Drucke haben eigenständige Designs, während ab 2012 eine Linie in der Konzeption des Layouts erkennbar wird – das Museum hat sich endlich grafisch selbst gefunden.

 

Zweiter Akt – Insel
Im folgenden Raum sind lediglich drei schlichte, weiss gepolsterte Lederbänke aufgestellt, von denen die Werke in Ruhe betrachtet werden können. Neben einem Sammelsurium aus Fotografien, grossformatigen Malereien und geometrischen Figuren findet sich unter dem Titel: If a Tree Falls in the Forest and There Is no One Around It, Does It Make a Sound?  ein präparierter Esel dem ein Fernseher auf den Rücken geschnallt wurde. Schon der Titel dieses Werkes von Maurizio Cattelan aus dem Jahre 1989 regt zum Nachdenken an und steht für die Experimentierfreudigkeit seiner Zeit. Die 1980er-Jahre waren geprägt durch die Ära der «InK», der «Halle für Internationale, neue Kunst», die versuchte durch ihre Aktivitäten die internationale Kunstszene in Zürich zu verankern. Vor diesem Hintergrund begann sich die Sammeltätigkeit zu professionalisieren, vor allem durch das Zutun des Migrosgenossenschaftsbunds MGB. Viele international renommierte Künstler besuchten seitdem die Limmatstadt. Durch ihren Einfluss hängen an der Wand nun berühmte Werke von Giovanni Giacometti, Sol le Witt, Andy Warhol oder Maurizio Cattelan.

 

Dritter Akt – Fahrrinne
Kunstvermittlung kennt man meist in Form von heruntergeratterten Führungen oder gelangweilten, etwas gequält wirkenden Ausstellungsaufsehern. Doch die Vermittler im ersten Obergeschoss sind lebendig und aktiv. Sie laden ein, Trampolin springend Fotos nachzustellen, sodass man fast ins Schwitzen gerät, diskutieren über die Ausstellung und freuen sich über Aktion und Beteiligung. Ein Besucher sagte, er fände das Trampolin nicht die richtige Art, um ein gezeigtes Foto nachzustellen. Er legte sich kurzerhand auf den Boden – ähnlich wie die abgebildete Person. Luftreiniger an den Rändern des Raums erinnern an die grosse Installation aus Fäkalschlamm des amerikanischen Künstlers Mike Bouchet während der diesjährigen europäischen Biennale für zeitgenössischen Kunst Manifesta in Zürich, die im wahrsten Sinne des Wortes für «dicke Luft» sorgte.

Hinter einer weissen Wand kann nach dem Trampolinsport auf Fatboys ausgeruht werden Eine Diashow aus an die Wand projizierten, psychedelischen pastellfarbenen Quadraten bietet Ruhe für den Geist – bevor es im nächsten Abteil wieder schneller zu geht: Überlebensgrosse, ebenfalls projizierten Frauenvisagen sind  im raschen Wechsel zu sehen.

 

Epilog – Strand
Die Tour durchs Museum schliesst mit der Installation Chaimowicz. Celebration? Realife Revisited (1972–2000) des Künstlers Marc Camille. Dieser letzten grössere Raum ist nicht betretbar und nur von zwei meterbreiten Öffnungen einsehbar. Sie beschreibt auf eine poetische, gewollt chaotische Weise das Stückwerk einer Party der vorangegangenen Nacht – Lichterketten liegen auf dem Boden verteilt, eine tiefhängende Discokugel und ein vertrockneter Blumenstrauss neben grellroten Scheinwerfern runden das Bild ab.

Dieses Sammelsurium an scheinbar willkürlich ausgewählten und zufällig angeordneten Objekten steht symbolisch für diese Ausstellung – sie ist ein Abriss, eine sorgfältig kuratierte Anthologie bestehend aus den Perlen des Fundus des Migros Museums für Gegenwartskunst. Die Reflexion in Form der präsentierten Werke und ihrer Dramaturgie reisst mit. Neugierig erwarten wir, was das Meer der Zukunft in die Sammlung der Gegenwart spülen wird.

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 5. Februar im Migros Museum für Gegenwartskunst an der Limmatstrasse 270 in Zürich zu sehen.

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